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Interview des Berliner Literaturmagazins „Verstaerker: Organ zur Rueckkopplung von Kunst und Literatur“ mit Patrick Lemke

 

„Verstärker: Organ zur Rückkopplung von Kunst und Literatur“

Interview des Berliner Literaturmagazins mit Patrick Lemke

 

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Patrick Lemke, Atelier Düsseldorf   (Foto: Vieweg)

 

1. Wie bist du zu „deiner Kunst“ gekommen?

Zu Beginn stand die Angst, dass, wenn nicht ich diese Bilder male, die ich male, kein anderer wahrscheinlich die Bilder malen würde und könnte. Es war eine Unruhe und ein Bedürfnis, innere und geistige Malereien sichtbar zu machen.

 

2. Wann hast du deine erste Geschichte/dein erstes Gedicht geschrieben, oder dein erstes Bild gemalt? Kannst du dich an das Thema erinnern? Gab es einen besonderen Anlass?

Im Kindergarten zeichnete und malte ich Bilderserien und Comics. Anlass war, dass ich englischsprachig in Kanada aufwuchs und ich im Alter von 4 Jahren mit meiner Familie zurück nach Deutschland zog. Da ich nicht die deutsche Sprache beherrschte, übernahmen meine Zeichnungen manchmal Funktionen der Sprache. Meine ersten bewussten und ausgearbeiteten Bilder entstanden mit sechzehn, siebzehn Jahren. Inhalte waren explodierende Blumenfelder, eine kotzende Frau, später die Genitalien von Adolf Hitler.

 

3. Hast du literarische/künstlerische Vorbilder?

In der Kunst begeistern mich Caravaggio oder Gerhard Richter. Jugendlieben waren Baselitz und Corinth. Zurzeit setze ich mich mit Katharina Grosse und Daniel Richter auseinander. Epochen wie Barock und Pop-Art sind mir sehr nahe. Am meisten lerne ich jedoch immer von gleichaltrigen Malern.
In der Literatur gibt es eine Liebe zu Robert Musils und Elias Canettis Romanen.

 

4. Welches Buch hast du zuletzt gelesen? (Welchen Film gesehen, welches
Theaterstück oder welche Ausstellung, welches Konzert besucht?)

Ich las zuletzt erneut „Die Letzten ihrer Art“ von Douglas Adams sowie das „Reich der Erfindungen“,ein Reprint von 1901, das die Entdeckungen der Technik des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Oft bin ich bei Poetry-Slams. Zuletzt tanzte ich zu Moguai im Tribehouse. „Die hermetische Garage“ von Moebius sah ich wieder mal durch, und Matthias Köster und Junior Toscanelli bei der Galerie Schübbe waren wunderbar.

 

5. Hast du schon ein Buch veröffentlicht? Oder deine Werke ausgestellt?

Bilder gehören nicht in das Atelier oder Depot sondern an Wände. Ich stelle gerne und viel aus, in Galerien wie dem Heimbacher Forum für zeitgenössische Kunst oder dem Essener kunst-raum, Raum für junge Kunst und auf den Kunstmessen Cologne Fine Art, Art Karlsruhe oder der art.fair sind aktuelle Arbeiten zu sehen.

 

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© Patrick Lemke. Vier Tropfen Rot, 140 x 195 cm, 2004. Alle Rechte vorbehalten.

 

 

6. Wie dringend brauchst du Feedback?

Beim Prozess des Malens selber will ich die verschiedenen Welten der Sprache und des Sehens nicht vermischen. Sobald Bilder fertig werden, sind mir alle Diskussionen wichtig. Gespräche mit Malerfreunden, meinem Professor Markus Lüpertz und auch mit Sammlern waren meistens die ehrlichsten und hilfreichsten.

 

7. Wenn du dich nicht künstlerisch betätigen dürftest, was würdest du stattdessen tun?

Übergangsweise studierte ich vor meinem Kunststudium ein Semester Psychologie. Berufe, in denen eine persönliche Ehrlichkeit im Mittelpunkt steht, mochte ich immer am meisten. Auch Party- und Konzertdekorationen würden mich zu einem beruflichen Ausflug reizen.

 

8. Wo arbeitest du? Brauchst du einen „festen“ Platz? Brauchst du bestimmte Rituale, z.B. bevor du anfängst zu schreiben?

Ja, ich ritualisiere durchaus meine Arbeit. Ich arbeite in einer zum Atelier umgebauten Ballettschule in Düsseldorf-Gerresheim. Ein wichtiges Ritual ist das ständige Auslasten der Lautstärkeregelung meiner Musikanlage. Arbeitsschritte wie Skizzierungen, Pinselreinigung und Farbmischen würde ich ebenso als etwas an das Rituelle grenzende bezeichnen, da sie die Arbeit gliedern und rhythmisieren.

 

9. Kannst du von deiner Kunst leben? (Wovon lebst du? Wie lebst du?)

Von Kreditüberziehungen bis zum kleinen Reichtum kenne ich mittlerweile alles. Ich lebe von Bildverkäufen. Zudem arbeite ich als Dozent an der Kunstschule Wegberg.

 

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© Patrick Lemke. Gruß an Giovanni, 140 x 195 cm, 2004. Alle Rechte vorbehalten.

 

10. Gibt es Prägungen aus deinem familiären Umfeld, die sich in deinen Werken zeigen? (z.B. bestimmte Personen, die auftauchen, vielleicht auch bestimmte Personen, die deinen künstlerischen Werdegang von Anfang an begleitet haben?)

Es gibt von fast allen Personen in meinem engeren Umfeld vereinnahmte Werke. In vielen Arbeiten tauchen charakteristische Körperhaltungen und andere Attribute von Freunden und der Familie auf.

Identifikation hat für mich in der Kunst einen sehr hohen Wert. In großen Abständen sind ganze Bilderserien über Freunde und Freundinnen entstanden. Dahinter steht für mich die Romantik, dass man das, was man am meisten liebt, auch am Besten malen kann. In meiner Familie bin ich einer der wenigen, die nicht Germanistik studierten. Literatur, Lehramt, Theater und Journalistik sind da als Berufsfelder herausgekommen, es gab immer ein großes Bildungsideal. Als Jugendlicher beim Frühstück über Goethes Frühwerk zu diskutieren konnte hingegen auch enorm abschrecken. Meine Familie und auch Kunstlehrer förderten mich, sodass ich mit sechzehn Jahren an Schwertes Universität Akte zeichnete, in Unna bei Wilhelm Buschulte, einem sakralen Maler, Porträts. Drei Jahre später gewann ich ein Stipendium und hatte mit zehn anderen jungen Malern und Malerinnen aus Deutschland die Möglichkeit, in Ateliers auf Capri, in Bonn, München und Wien mit Begleitung von Prof. Hans Daucher und Thomas Eggelkamp zu arbeiten.

 

11. Was inspiriert dich? (Welche inneren und äußeren Faktoren beeinflussen deine Kreativität positiv oder negativ?)

Mein Gehirn neigt zu Großleistungen bei der Aktivierung aller Sinne, also beispielsweise beim Tanzen, beim Reisen, beim Sex. In solchen Situationen, Stunden und Tagen, in denen mich neue und herausfordernde Sinneseindrücke wie eine unbekannte Stadt mit fremden Gerüchen und dem Sound einer anderen Sprache, ein farbiges Licht- und Hörspektakel bei einem Konzert, das Hören eines Atems oder das Ansehen und Fühlen eines Körpers beschäftigen, bin ich zu schnelleren, eigenartigeren Gedankenspielen fähig. Auch wird dann meine optische Vorstellungskraft, die Fähigkeit zum Denken in Bildern, oft größer. Dabei entstehen die besten Ansätze und Eindrücke, die ich nach briefmarkengroßen Bildskizzierungen im Atelier verwende. Beispielsweise entstanden nach einem Unwetter, das ich auf einem Berg in der Eifel mitverfolgte, Wolkenstudien und Himmelsstudien, die einen Bauernmalereistil aufgriffen, der mich wiederum in den im Nürnberger Germanischen Museum nachgebauten Bauernküchen faszinierte.

Nach einem Open-Air-Festival in Berlin malte ich tanzende, springende Menschen, die vor roten Hintergründen wie von den Lichtanlagen einer Disco angestrahlt werden. Gleichzeitig erscheinen Kreise wie in naturwissenschaftlichen Darstellungen von Schall- und Sonarwellen. Sogar beim Schiffen auf dem Klo denke ich darüber nach, ob ich nicht irgendwie ein Bild daraus machen könnte. Unangenehm sind für mich beim künstlerischen Arbeiten klein erscheinende alltägliche Ablenkungen – Handyklingeln, wechselndes Licht durch einen Wetterwechsel, Karnevalsmusik in den zum Atelier benachbarten Musikbandproberäumen, der treibhausartige Hitzestau in manchen Sommerwochen im Atelier und auch die langen Trocknungszeiten der Ölfarbe, die ein Weiterarbeiten an einem begonnenen Bild erst Tage später wieder erlauben.

 

 

12. In welchem Kulturkreis bist du aufgewachsen? Inwieweit war das förderlich/ hinderlich für deine Kunst?

Zersplittert ist meine Kindheit in zwei Kulturen, der Kanadischen und der Deutschen. Die Indianerund Comickultur kanadischer Kinder und mein späteres Aufwachsen am Rande des Ruhrgebiets vermischten sich. Heute genieße ich es, Kulturen von diesen unterschiedlichen Gesichtspunkten analysieren zu können.

 

13. Welche fünf Adjektive charakterisieren dich überhaupt nicht?

Ich denke, dass Adjektive wie normal und bösartig, konservativ, früh aufstehend und schlecht gelaunt bei mir irreführend und auszuschließen sind.

 

14. Gibt es drei „Dinge“, die du überhaupt nicht kannst?

Ich habe eine große Abneigung gegen Gewalt, beim Schwimmen bin ich ziemlich unfähig.
2 Tage ohne Malerei bringen mich an den Rand einer persönlichen Katastrophe.

 

15. Welche drei großen Träume möchtest du dir erfüllen?

Meine Träume finden Nacht für Nacht in schönsten Ausstattungen beim Träumen und Schlafen statt. Projekte sind, das schönste Rot der Welt zu finden und die Erde zwei Sekunden lang anzuhalten.

 

16. Hast du ein Lieblingszitat, -spruch, Vers oder Buch, welches vielleicht zum Wahlspruch, Lebensmotto geworden ist?

„Ihr lacht über mich, weil ich anders bin,
ich lache über euch, weil ihr alle gleich seid.“
Kurt Cobain

Ein Zitat eines mittelmäßigen Musikers. Jedoch wird treffend die Freiheit der Kunst beschrieen.

 

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 Atelier Düsseldorf

 

17. Was ist für dich Qualität? Gibt es für dich objektive Maßstäbe, um die Qualität von Kunst zu beurteilen?

Konsequenz. Die Verwebung, das Aufeinanderaufbauen vom Formalen und Inhaltlichen muss gelungen sein, die Abstimmung zwischen dem Bildnerischen und dem konzeptuellen Anspruch muss restlos stimmen. Auch kann die Kunst Gegensätze und Konflikte feiern, jedoch sollten sich das Geistige, die Ideen und Gedanken mit dem Werk eines Künstlers gegenseitig begründen. Dann wird die Verinnerlichung eines Kunstwerkes, der stille Dialog mit dem Künstler, möglich.

 

18. Was fehlt in der Kunst oder der Kunst? Was ist deiner Meinung nach das größte Problem des modernen „Kunstbetriebs“?

Die Identifikation mit den Wünschen, Leidenschaften der Kunst und die Konzentration auf die Stille und Kraft der Bilder gehen verloren. Die durchschnittliche Dauer einer Bildbetrachtung hat den Rekord und Tiefstand einer halben Sekunde erreicht. Der Glaube an Wertvolles und Großes in der Kunst wird schwächer. Sinn und Beweggründe, Entstehung und Mehrdeutigkeit, Geschichte und Ausdruck von Kunstwerken verlieren an Bedeutung. Dass Malerei erst mit steigender Auseinandersetzung und Sehlust des Bildbetrachters ihre ganze Dramatik und verborgenen Fähigkeiten ausschöpfen kann, wird unterschätzt. Bei Großveranstaltungen wie der Documenta oder der Biennale in Venedig sieht man daher auch wenige glückliche und überzeugte Augen in den Gesichtern der Besucher.

Doch eher bin ich der Überzeugung, in einer großartigen Zeit der Kunst zu leben. Innovation, Möglichkeiten und Raum der Kunst haben in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen. Die Kunst hat an Freiheit, Themen, Ausdrucksmedien, Kommunikation, Verständnis und Akzeptanz gewonnen.

 

Heike Hartmann-Heesch

Dr. Sonja Hermann

 

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