Himmelstudien
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Patrick Lemke studierte von 1994 bis 2001 zunächst an der Hochschule der Künste in Berlin bei Prof. Weigle, danach war er Schüler von Prof. Lüpertz an der Kunstakademie in Düsseldorf, wo er auch lebt und arbeitet. Regelmäßig sind seine Werke in unterschiedlichen Galerien und Museen ausgestellt. Er erhielt verschiedene Preise, zuletzt den europäischen Preis der „Boston Consulting Group“ in München.
Prägend für seine Arbeiten ist das Spiel mit räumlichen Wirkungen, Gegensätzen und verschiedenen Realitäten. Er schafft einfachste Bildräume, in denen geometrische Formen, aber auch andere Elemente wie Häuser, Wolken oder Lebewesen frei vom Grund in der vorderen Bildebene zu schweben scheinen. Diesen greifbaren, realen Formen stehen die Hintergründe, die in ungegenständlicher Weise gestaltet sind, gegenüber. Üblicherweise sprüht Lemke Lack auf den Bildträger und löst ihn anschließend mit Terpentin auf, wobei sich die Farbpigmente an den Rändern sammeln und es zu den typischen zerfließenden Saumbildungen kommen kann. Der Vorgang wird mehrfach wiederholt, so dass durch den fotomechanischen Effekt eine transparente, matte, aber auch vielschichtige Wirkung entsteht. Auf diese zum Teil aus 10 Sprühschichten bestehenden Hintergründe setzt Lemke dann dichtere Farbflächen, Elemente und Strukturen in Öl oder Lack. Als reale Gegenstände erkennen wir sie in prominenter Weise im Bild. Sie werfen Schatten auf die Bildfläche, Farbigkeiten sind den Lichtverhältnissen bestimmter Tages- oder Jahreszeiten angepasst und doch verlieren die Dinge gleichzeitig ihre Realität, indem Schattenwürfe alogisch gesetzt werden, nicht zueinander passen oder auch komplett fehlen. Auch die Perspektiven, die Lemke in seinen Bildern nutzt, stellen sich für den Betrachter nicht immer eindeutig und logisch dar. So arbeitet er einerseits zentralperspektivisch, wählt häufig auch isometrische Perspektiven ohne Fluchtpunkt, Mehransichtigkeiten und Auf- und Untersichten. Die dritte Dimension interessierte auch den Niederländer Maurits Cornelis Escher Anfang des 20. Jahrhunderts, lange bevor die ersten von Computern erstellten 3 – D – Bilder die Öffentlichkeit faszinierten.
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Das 140 x 195 cm große Gemälde „Himmelstudie“ wirkt auf den ersten Blick wie ein didaktisches Schaubild. Auf den unbestimmten, blau – grau und gelb – weiß gesprühten Hintergrund sind am unteren Bildrand Farbflächen aufgesetzt, die uns an grüne Felder, Buschwerk, Landschaft mit Häusern und Straßen erinnern. Die Farbigkeit dieser Landschaftsstudie reicht von hellen, lichten bis hinzu dunklen Grünnuancen und dokumentiert damit unterschiedliche reale Lichtverhältnisse, etwa eines Frühlings- oder Spätsommertages. Weitere, diesmal von der rechten Seite eingeschobene Farbflächen zeigen in ähnlicher Weise Blau – Grau – Töne, die Farbigkeiten eines Himmels zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten assoziieren.
In der vordersten Bildebene der Himmelstudie schweben einzelne kleine Wolken, die kräftig strukturiert sind. Eine Graugans mit weit ausholendem Flügelschlag betont die luftige Atmosphäre der Szenerie. Schatten der Wolken, des Vogels und der aufgesetzten Farbflächen sind nicht immer real, so wirft zum Beispiel selbst die Sonne auf der linken Bildhälfte einen Schatten. Erst durch das Aufsetzten der, mehr oder weniger, realen Gegenstände auf den ungegenständlichen Hintergrund, lässt sich dieser als Himmelsphäre mit Wolkenformationen verstehen.
Es ist immer schwierig Künstler und Kunstwerke in ein Schema einzuordnen oder Einflüsse bestimmter Stilrichtungen aufzuzeigen. Will man Lemkes „Studien“ in einen kunsthistorischen Kontext setzen, könnte man impressionistische Motive dahingehend wiederfinden, dass beispielsweise auch Claude Monet Landschaften mehrfach in unterschiedlichen tageszeitlichen Stimmungen gemalt hat. Eine Aufteilung des Bildganzen in kleinere Ausschnitte, wie Lemke sie in seinen Studien zeigt, könnte aber genauso durch eine kubistische Bildauffassung begründet sein.
„Vier Tropfen rot“, mit den Maßen 95 x 140 cm, ist technisch in ähnlicher Weise gearbeitet wie das großformatige Gemälde Himmelstudie. Der rot – orange farbige Hintergrund ist wieder ungegenständlich in Sprühlackschichten zu sehen. Durch Lösen in Terpentin fließen die Pigmente charakteristisch zu den Rändern, so dass der Bildgrund aus unzähligen, roten, zum Teil transparent wirkenden, übereinandergeschichteten Tropfen zusammengesetzt zu sein scheint.
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In der vorderen Bildebene finden sich geometrische Kreisformen, die ebenfalls vor- und hintereinander auf den Hintergrund aufgesetzt sind. Diagonal zueinander befinden sich links oben und rechts unten in farbigen Abstufungen Kleinstquadrate auf dem Hintergrund, wobei die Rechten größer gestaltet sind und Schatten auf den Grund werfen, dem Betrachter demnach näher entgegenstehen. Eine zweite Diagonale im Bild lässt sich durch eine Verbindung der eingemalten Figuren erkennen. Ihre Körperhaltung entspricht der von Sportlern z.B. Skatern oder Surfern, die quasi ohne Brett durch den freien Raum springen. Im Bild dominieren die Kreisbewegung und die Sprungbewegung der Personen, die einander gegenüber platziert sind. Die diagonale Zuordnung und die farbigen Quadrate an den Rändern geben den, im Bild kreisenden und springenden Elementen, eine gewisse Statik. Wieder lassen sich in diesem Gemälde Unstimmigkeiten im Schattenwurf der aufgesetzten Elemente finden, die rechte Figur ist nach links hin beschattet, während die rechten Quadrate den Hintergrund nach rechts beschatten.
Eine etwas anders gestaltete Arbeit in dieser Ausstellung ist mit dem Titel „Volume“ („Lautstärke“) überschrieben. Es handelt sich um ein nahezu quadratisches Bild von 95 x 100 cm in Acryl und Öl. Besonders an der linken Gemäldeseite lässt sich ein kräftiger, homogen blau gearbeiteter Untergrund erahnen. Darüber erscheinen Acrylfarben, die aufgespritzt sind, wobei ein kräftiger leuchtend roter Farbton, neben hellorange, dunkelrot und grauen Tönen die Gesamtnuancierung dominiert. An einigen Stellen im Zentrum der aufgespritzten Farben verwischen sich die einzelnen Farbtupfen zu einem grau – roten, diffusen Gemisch, während zu den Rändern hin, Farbtropfen und Spritzer in einzelne runde Kleinstformen zersprengt werden. Ein Effekt, den man bei einer Explosion beobachten kann. Diese heftige Zersprengung gibt an einigen Stellen waagerechte und senkrechte Linien frei, welche kräftige, sich kreuzende, runde Stahlrohrstreben assoziieren. Stellenweise, etwa im Bereich des Explosionszentrums, werden diese Streben von der Detonation überlagert. In vorderster Bildebene greift Lemke nochmals statische Elemente auf. Unterschiedlich große Quadrate erscheinen im Bild, die einerseits als einfache Röhrenrahmung, andererseits als ausgefüllte Farbquadrate gestaltet wurden. Dann begegnet uns unvermittelt, über dem vermuteten Explosionszentrum, eine Dame, von quadratischer Rahmung umgeben, in antiker, smaragdgrüner, eleganter Robe. Ihre geschwungene Körperhaltung und ihr zum Himmel emporgehobener Kopf unterstreichen die Gestik der Arme und lassen vermuten, dass sie auf einer Bühne steht.
Insgesamt lässt sich dieses Gemälde besonders im Hinblick auf Harmonien und Disharmonien beschreiben: In Kontrast zur heftigen, in Kleinsttropfen zersprengten Rotfarbigkeit, setzt Lemke den homogenen, einfarbigen blauen Untergrund und die statisch wirkenden Stahlstreben und Quadrate. Entgegen aller Statik lässt sich dann wiederum das, in weichen Falten gemalte Gewand der Operndiva interpretieren. Das leuchtende Smaragdgrün steht dagegen wieder harmonisch im komplementären Kontrast zum leuchtenden Rot der Explosion. Insgesamt wirkt das Bild trotz der vermeintlichen Explosion sehr ruhig, fast wie eine Momentaufnahme.
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Heike Fröhlich M.A., Museum Baden Solingen, 2004
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